Pensionen

Armutsbekämpfung ist nicht Aufgabe des Pensionssystems

EU-Parlament will Frühpensionen einschränken und Ruhestandsalter anheben

Becker: "Richtung stimmt, Schlüsselforderungen noch nicht erfüllt"

Straßburg, 21. Mai 2013 (OTS) Das Europäische Parlament hat heute mit großer Mehrheit die EU-Mitgliedstaaten zur Reform der Pensionssysteme aufgefordert. Der Sozialsprecher der ÖVP im EU- Parlament, Heinz K. Becker, lobt und kritisiert Teile des beschlossenen Berichts. "Für Mitgliedstaaten mit wenig entwickelten Pensionssystemen ist der Bericht eine gute Zielorientierung. Die Richtung stimmt: Den gesetzlichen Pensionen Priorität vor anderen Pensionsmodellen einzuräumen und die Arbeitsmarktbeteiligung Älterer zu erhöhen", so Becker. Eine seiner Schlüsselforderungen sieht Becker aber nicht erfüllt: "Orientierung allein an Mindestpensionen führt zu einer Angleichung nach unten. Natürlich muss man Armut bekämpfen. Aber über andere Instrumente. Denn Maßnahmen zur Armutsbekämpfung sind Teil der Sozialhilfe und nicht der Pensionsversicherungssysteme im Umlageverfahren", so der ÖVP EU-Abgeordnete.

Das Parlament spricht sich mit dem heutigen Beschluss zur „EU-Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen in Europa“ (Weißbuch Pensionen) dafür aus, dass die Gestaltung der Pensionssysteme weiterhin Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben soll. "Damit liegt aber auch die Verantwortung allein bei den Mitgliedstaaten, diese grundlegende Frage für die Zukunft unserer Gesellschaft anzugehen. In den meisten EU-Mitgliedstaaten geschieht hier viel zu wenig. Wenn die Regierungen diese Aufgaben jetzt nicht entschlossen in Angriff nehmen, gefährden sie den sozialen Frieden und die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der EU", so Becker.

Becker, der auch Generalsekretär des Österreichischen Seniorenbundes und einziger Seniorenvertreter im EU-Parlament ist, sieht die erste Aufgabe eines für zukünftige Generationen fairen Pensionssystems darin, den im Arbeitsleben erworbenen Lebensstandard zu sichern, "mit einer Lebensqualität, die ein selbstbestimmtes Leben im Alter garantiert", so der EU-Abgeordnete.

Das Parlament fordert in dem heutigen Beschluss unter anderem, Frühpensionen und andere frühzeitige Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Berufsleben einzuschränken, das faktische an das gesetzliche Rentenalter anzugleichen sowie das Ruhestandsalter für Frauen und Männer zu vereinheitlichen.

Besonders wichtig ist Becker die Mitbestimmung von Vertretern junger und älterer Generationen beiPensionsreformen: "Diese sollen zwar künftig 'konsultiert' werden, bedauerlicherweise wurde aber die verpflichtende Mitbestimmung durch einen europäischen Jugendrat und Seniorenrat mit Sozialpartnerstatus nach österreichischem Vorbild leider nicht verwirklicht."

Becker betont die Wichtigkeit von anderen Pensionsmodellen neben staatlichen, gesetzlichen Pensionen. Diese Modelle der 2. und 3. Säule – wie Betriebspensionen oder private Altersvorsorge – sollten aber nur Zusatz, kein Ersatz für die staatlichen Pensionen sein. "Die Länder, deren Systeme anders als in Österreich nicht auf starken und sicheren staatlichen Pensionen basieren, müssen Kontrollen und Sicherheiten für kapitalgedeckte Pensionen verstärken", so der EU- Abgeordnete.

Eine "Eins-zu-Eins-Koppelung der Pensionsalter an die Lebenserwartung" hält Becker für "nicht der Weisheit letzter Schluss". Er fordert, dass die Mitgliedstaaten institutionalisierte Expertengremien einrichten, die regelmäßig Fakten für oder gegen eine Anpassung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters erheben.Neben der Lebenserwartung, solle dabei auch Geburtenrate, Arbeitsmarktlage, die Gesundheitssituation der Bevölkerung und Einwanderungszahlen berücksichtigt werden. "Faktenbasierte Expertise muss Grundlage der Entscheidung durch die Regierungen sein. Nur so verhindern wir Populismus. Die irrwitzigePensionsaltersenkung von Präsident Hollande in Frankreich hätte es dann nicht gegeben", so Becker abschließend.

Rückfragehinweis: Österreichischer Seniorenbund, stv. GS Susanne Walpitscheker, 0650-581-78-82, swalpitscheker@seniorenbund.at

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"Eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten"

Der Anteil der EU-Bürger über 65 beträgt derzeit 17% und wird lt. Eurostat Prognosen bis 2060 auf 30% steigen. Die Bevölkerungsalterung bedeutet eine große Herausforderung für die Renten- und Pensionssysteme in den Mitgliedsstaaten. Das Europäische Parlament stimmt deshalb und als Antwort auf eine Initiative der Europäischen Kommission über Ihre Vorstellungen zu der Verwirklichung eines sicheren Renten- und Pensionssystems in der EU ab.

Die Zielsetzung des vorliegenden Berichtes soll der europaweiten Orientierung für die zukünftige Gestaltung und Verwirklichung eines sicheren Renten- und Pensionssystem dienen und ist für einen ersten Zeithorizont bis mindestens 2060 angedacht. Das bedeutet, die vor uns liegende Neugestaltung der Rentensysteme betrifft primär die nachfolgenden Generationen unserer Kinder und Enkel und - weniger die heute bereits im Ruhestand befindlichen Menschen.

Folgende Schlüsselmaßnahmen fordert das Europäische Parlament von den Mitgliedsstaaten, um auf eine Nachhaltigkeit der Pensionssysteme hinzuwirken:

  • Zugang zu Frühpensionen und anderen frühzeitigen Ausstiegsmöglichkeiten einzuschränken
  • Angleichung des faktischen an das gesetzliche Rentenalter
  • Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohn- und Einkommensgefälles
  • Berücksichtigung von Beitragsjahren als auch Pflegezeiten bei der Rentenentwicklung
  • Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch:
    • besseren Zugang zu lebenslangem Lernen
    • Anpassung der Arbeitsplätze an eine Belegschaft mit höherer Diversität
    • Ausbau Beschäftigungschancen für ältere Arbeitskräfte
    • kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen
    • flexible Arbeitsorganisationen, Zeiten und Arten von zu leistenden Arbeiten
    • Unterstützung des aktiven und gesunden Alterns zu fördern
    • präventive Gesundheitsmaßnahmen
    • Mentorenprogramme für ältere Arbeitnehmer
  • Ruhestandsalter für Frauen und Männer anzugleichen
  • über das Rentenalter hinaus zu arbeiten oder schrittweise in den Ruhestand überzugehen durch Arbeitsmarktinstrumente ermöglichen
  • öffentliche Altersversorgungssysteme müssen allen Menschen einen angemessenen Lebensstandard garantieren
  • Ausbau der Zusatz-Altersvorsorge zu fördern, um das Ruhestandseinkommen zu erhöhen
  • Vertreter junger und älterer Generationen sollen bei Reformen konsolidiert werden
  • Folgende Kombination der Säulen wird empfohlen:
    • umlagefinanziertes öffentliche Altersversorgung (1. Säule)
    • zusätzliche kapitalgedeckte betriebliche Altersversorgung (2. Säule)
    • individuelle Altersversorgung mit fairen Anreizen (3. Säule)
  • Informationspflicht der Bürger
    • fordert von der Europäischen Kommission eine Zusammenfassung für die Bürger, die es gestattet Herausforderungen einzuschätzen, vor denen ihre nationalen Altersversorgungssysteme in einem EU-weiten Vergleich stehen
    • rechtzeitige Aufklärung über geplante Reformen
    • Pensionsansprüche über internetgestützte Aufzeichnungsdienste nachvollziehbar machend
  • Wissen der Menschen über Rententhematik zu verbessern
  • Instrumente der EU zur Überwachung der Altersversorgung zu verstärken

In der christlich-sozialen Verantwortung der Europäischen Volkspartei für die kommenden Generationen gilt es, die Zielsetzungen für ein würdiges und selbstbestimmtes Alter nicht nur an einem "angemessenen" Niveau der Renten zu orientieren, sondern an der Sicherung des Lebensstandards und - nach einem Arbeitsleben mit hohen Leistungen für die Gesellschaft - der bestmöglichen Lebensqualität im Alter als Optimum zu entwickeln. Leider wurde dieser Aspekt nur zu milde berücksichtigt.

Weiters nur sehr schwach berücksichtigt ist leider die Mitbestimmung bei Reformveränderungen der am meisten betroffenen Generationen, also der Jungen und Alten, welche beide neben und im selben Rang wie die Sozialpartner stehen sollten.

den Zugang zu Frühpensionen und anderen frühzeitigen Ausstiegsmöglichkeiten einzuschränken, Angleichung des faktischen an das gesetzliche Rentenalter, das Ruhestandsalter für Frauen und Männer anzugleichen sowie auch freiwilliges längeres Arbeiten über das gesetzliche Pensionsalter hinaus durch Arbeitsmarktmaßnahmen zu ermöglichen.

Damit aber die ganze Last nicht auf der umlagefinanzierten Altersversorgung der 1. Säule liegt, empfiehlt das Europäische Parlament Systeme für kapitalgedeckte betriebliche Altersversorgung und individuelle Altersversorgung für alle Bürger zugänglich zu machen.

Im Interesse einer nachhaltigen Zukunftssicherung der Rentensysteme gilt es strategisch den EU-Mitgliedsstaaten "die Latte" nicht niedriger, sondern höher zu legen, damit wir dem Anspruch des weltweit bestentwickelten europäischen Sozialmodells auch gerecht werden können!, so Sozialsprecher Heinz K. Becker.